Und
wieder sitze ich im Büro an meinem Schreibtisch.
Jeden Tag das gleiche - was tue ich eigentlich hier? Draußen ist es grau
und trüb, so fühle ich mich oft auch. Ich sollte mal irgendwas Aufregendes tun. Die Wochenenden sind auch so
schnell vorbei. Und gerade ist wieder mal ein Jahr vorübergegangen und
das neue ist auch schon 24 Tage alt.
Manchmal habe ich das Gefühl, das Leben rauscht einfach so an mir vorbei.
Jeden Tag zur Arbeit, in der Mittagspause oder abends schnell noch was
einkaufen. Dann nach Hause, Katzen füttern und anschließend vor dem
Fernseher noch etwas essen.
Kein Wunder, dass da die Figur mit der Zeit darunter leidet. Ein bisschen Sport wäre ja nicht schlecht - aber welcher?
Früher habe ich mit Begeisterung Volleyball gespielt und das würde ich
jetzt auch gern wieder tun. Aber der Anfang ist nicht so einfach, wenn man
seit Jahren nichts mehr gemacht hat.
Was kommt sonst noch in Frage - Schwimmen? Ja, das wäre nicht schlecht,
aber mit der Figur sich im Schwimmbad zeigen - nein, nur unter Wasser!
Also bleibt nur Jogging, denn zur Zeit wird es ja noch recht früh dunkel
und man wird nicht gesehen.
Und warum die ganze Quälerei?
Das hat einen besonderen Grund. Ich fahre nämlich nach Frankreich,
genauer gesagt an die Côte d'Azur!
Endlich, zum ersten Mal in meinem Leben, werde ich Bildungsurlaub machen.
Und da kommt natürlich nur eins in Frage, nämlich ein Französisch-Sprachkurs.
Und selbstverständlich in dem Land und an dem Ort, wohin ich sofort
ziehen würde ...
Halt - ich sollte heute doch noch etwas arbeiten. Da liegt noch die ganze Post von gestern. Da bin ich nicht dazu gekommen,
weil ich den ganzen Tag Termine hatte.
Und heute morgen schon wieder eine Besprechung - Qualitätsmeeting nennt
man das jetzt.
Oh je - schon halb zwölf! Heute muss ich in der Mittagspause schnell
etwas einkaufen gehen, also schnell mal einen Blick auf den
Einkaufszettel, sonst weiß ich wieder nicht, was ich denn überhaupt
brauche.
Im
Laufe des Nachmittags wurde es recht warm im Auto. Kein Wunder, ich war ja
auch auf dem Weg in den Süden. In der Provence, in der Nähe von Orange, hatte ich zuletzt kurz Halt
gemacht. Dort blies ein ziemlich kalter Wind aus Norden - der Mistral.
Aber die Sonne hatte noch eine erstaunliche Kraft, selbst jetzt Anfang
Oktober noch.
Endlich war es soweit - ich befand mich auf dem Weg nach Antibes. Bis
zuletzt war ich mir nicht ganz sicher gewesen, ob ich wirklich fahren
sollte und ob es die richtige Entscheidung gewesen war.
Nicht dass ich ängstlich wäre, aber an einem Sprachkurs teilzunehmen,
ohne jemanden zu kennen, dabei war mir doch nicht so wohl.
Aber nun genoss ich die Fahrt, ich verspürte überhaupt keine Anstrengung
trotz der zehn Stunden am Steuer.
Und gleich war es soweit, nur noch ein paar Kilometer bis zur
Autobahnausfahrt.
Zehn Minuten später erreichte ich die Ausfahrt, zahlte die letzten Francs
an der Péage und war in Antibes.
Oh, diese Hektik auf den Straßen! Das war hier in der Stadt im ersten
Moment viel schlimmer als auf der Autobahn. Aber ich wusste, ich würde
mich schnell daran gewöhnen, schließlich war ich nicht zum ersten Mal
mit dem Auto hier.
Ja, es waren jetzt genau fünfzehn Jahre, dass ich zum ersten Mal hierher
gekommen war. Damals war das mehr oder weniger Zufall. Ich hatte an
einer Sprachreise der Volkshochschule teilgenommen. Na ja, gelernt haben
wir damals kaum etwas bei zwei Stunden Unterricht am Tag. Aber ich habe
mich gleich in die Landschaft und die Lebensweise verliebt. Und dieses Klima, das Meer und all die Düfte!
Daran dachte ich jetzt, als ich am Hafen vorbei durch die Altstadt fuhr. Ich
musste nach Juan-les-Pins hinüber, dort hatte ich ein Appartement
gebucht.
Ich entschied, den kleinen Umweg über das Cap d'Antibes zu nehmen, denn
diese Strecke war einfach herrlich.
Wie wundervoll, links der Straße das Meer, das heute fast so glatt wie
ein Spiegel in der Abendsonne glitzerte, und rechts all diese hübschen Häuser
auf den Anhöhen.
Und dann war ich schon da. Ich hatte den Weg auf Anhieb gefunden, ich war
ja wie gesagt, nicht zum ersten Mal hier und außerdem hatte ich mich zu
Hause schon gründlich anhand des Stadtplans informiert.
Genauer gesagt, hatte ich mit zuletzt täglich die Unterlagen angesehen,
so als ob ich dadurch schon meinem Ziel etwas näher wäre.
Ich hatte Glück und fand einen Parkplatz ein paar Meter von der Résidence
entfernt. Ich stellte das Auto ab, natürlich nicht ohne die
Diebstahlsicherung anzubringen und das Radio herauszunehmen. So etwas
sollte man hier nie als Vorsichtsmaßnahme vergessen, obwohl die Côte d'Azur
meiner Meinung nach nicht gefährlicher ist als Frankfurt.
Ich ging die paar Meter zur Résidence zurück, trat ein und ging zum
Empfang. Der Portier saß auf einem Stuhl in der Ecke und las „Nice Matin“.
„Bon soir“, sagt ich.
„Bon soir, Madame“, begrüßte er mich, erhob sich von seinem Stuhl
und trat an die Theke.
Ich erklärte ihm auf französisch, dass ich ein Appartement reserviert
hatte und überreichte ihm den Gutschein. Nachdem die Anmeldung erledigt war und ich die Schlüssel hatte, fuhr ich
zuerst mein Auto in die Tiefgarage und nahm anschließend den Aufzug zu
meinem Appartement.
Ich hatte ein Appartement im 7. Stock bekommen, und hoffte, dass ich wenigstens ein
bisschen Meerblick haben würde.
Ich schloss die Tür auf und das erste was ich sah - war das Meer! Wunderbar - jetzt konnte eigentlich nichts mehr
schief gehen. Selbst wenn
die Schule und der Sprachkurs mittelmäßig sein sollten, so hatte ich
doch ein wunderschönes kleines Appartement mit Meerblick. Das wollte ich
auf jeden Fall genießen.
Ich hatte mit wohlweislich etwas Verpflegung mitgenommen, denn erstens war
heute Sonntag und außerdem wusste ich, dass ich erst abends ankommen würde,
wenn selbst hier kein Laden mehr geöffnet hatte.
Das Auspacken konnte noch warten - zuerst wollte ich einen kleinen
Spaziergang an der Strandpromenade machen.
Ich zog mir schnell einen Pullover über, denn es war doch nun nicht mehr
so warm. Ich fuhr mit dem Aufzug hinunter, trat aus der Tür, und atmete
erst mal tief durch. Ab jetzt konnte ich meinen Urlaub richtig genießen!
Es war ziemlich ruhig auf den Straßen. Nur noch wenige Restaurants und
Bars hatten geöffnet. Die Saison war ja schon zu Ende. Wie ganz anders war es damals gewesen, als ich das zweite Mal einen Urlaub
hier verbracht habe. Es war im August, sehr heiß und überall brechend
voll, aber mit Anfang zwanzig findet man das noch toll. Ich war mit einer
Freundin hier, und wir haben jede Menge Männer kennen gelernt. Diese Mal würde das wohl ganz anders sein. Ich hatte keine Hoffnung, überhaupt
irgend jemanden hier kennen zu lernen. Aber deswegen war ich auch nicht
gekommen. Ich wollte einen sinnvollen Urlaub verbringen, etwas lernen, und
das in einer wundervollen Gegend.
Ich setzte mich auf eine Bank an der Strandpromenade und schaute auf das
Meer. Das hatte eine wohltuende und beruhigende Wirkung auf mich. Das nächste Mal sollte ich etwas zu lesen mitbringen.
Die Luft war angenehm seidenweich, ein klein wenig salziger Meergeruch
darin. Ich hatte das Gefühl, ewig hier sitzen bleiben zu können.
Es muss wohl eine Stunde vergangen sein, als mir plötzlich sehr kalt
wurde. Ich stand und ging zurück. Ich war nun doch etwas müde von der
langen Autofahrt, das merkte ich erst jetzt.
In meinem Appartement trank ich noch ein Gläschen Wein und aß ein
belegtes Brot. Dann legte ich mich ins Bett und schlief fast sofort ein.
Um
halb sieben am nächsten Morgen klingelte der Wecker. Ich hatte ihn so früh
gestellt, dass ich ohne Stress wach werden und in rechtzeitig zum ersten
Unterrichtstag in der Schule ankommen konnte.
Zwei Häuser weiter war eine Boulangerie, das hatte ich schon gestern Abend gesehen.
Ich holte mir dort zum Frühstück ein Croissant, dann packte ich meine
Unterlagen zusammen und machte mich auf den Weg nach Antibes zur Schule. Ich hatte eine halbe Stunde zu Fuß eingeplant, das
müsste nach meiner
Ortskenntnis bequem ausreichen.
Die Sonne war schon jetzt am Morgen angenehm war, ich genoss den
Spaziergang zur Schule. Ich hatte mir einen Weg ausgesucht, der durch die
ruhigen Villenviertel führte, und nach 25 Minuten war ich da.
Die Schule war ein von außen recht klein erscheinendes Gebäude aus
groben Steinen gemauert. Zur Rezeption führte eine kleine Außentreppe. Ich erkundigte mich dort, wo sich die neuen Teilnehmer treffen sollten,
und man sagte mir, die Begrüßung würde auf der Terrasse stattfinden.
Dort saßen bereits vier oder fünf Leute an den weißen Plastiktischen. Ich setzte mich an einen leeren Tisch und schaute auf das Meer, die Baie
des Anges, während ich wartete.
Nach und nach trafen weitere Schulungsteilnehmer ein, ganz
unterschiedlichen Alters. Es waren viele jüngere dabei, so Anfang zwanzig
etwa, einige Pärchen, ein paar in meinem Alter und zwei oder drei
zwischen vierzig und fünfzig Jahren.
(geschrieben 1995 und nie beendet)
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